Gedankenfrüchte
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Das Wunder der goldenen Kugel

 

 

 

 

 

Es war kurz nach dem 1. Advent, als ich die goldene Kugel zum ersten Mal bemerkte.

Auf dem Weg zur Arbeit musste ich durch einen ruhigen, dunklen Tannenwald fahren. Irgendwann entdeckte ich, dass mitten im Wald an einem leicht über die Straße geschwungenen Ast, eine goldene Christbaumkugel baumelte. Eigentlich war es eine ganz Gewöhnliche, aber sie hing mindestens drei Meter über der Straße. Ich fragte mich, wie sie da wohl hingekommen sein mochte. Und seit wann sie da wohl hing? Wer und warum hatte sie da aufgehängt? Dazu benötigte man auf jeden Fall eine Leiter. Wer tut so etwas, direkt über einer Straße? Ein Scherzbold? Weit und breit gab es hier kein Haus, keine Bushaltestelle oder sonst einen Ort an dem sich Menschen in dieser ungemütlichen Jahreszeit  gerne aufhalten würden. Tagelang beschäftigten mich diese Fragen. 

An trüben Tagen sah ich die Goldkugel nur, wenn ich genau hinsah, an sonnigen Tagen glitzerte sie zart und an windigen Tagen schaukelte sie gefährlich hin und her. Nachts auf dem Nachhauseweg sah ich sie im Strahl meiner Autoscheinwerfer leuchten. Jeden Tag schaute ich nach, ob sie noch hing.

Zuhause erzählte ich meiner kleinen Tochter von der geheimnisvollen Kugel. Franziska war so begeistert von dieser rätselhaften Geschichte, dass sie die Kugel unbedingt sehen wollte. Ich fand es aber übertrieben, die Fahrt nur wegen einer Christbaumkugel, die fast 10 km entfernt einsam an einer Tanne hing, auf mich zu nehmen.

 

Jedoch, wie Kinder so sind, sie ließ nicht locker. Sie drängte mich zunehmend, so dass ich kurz vor Weihnachten ihrem Bitten endlich nachgab. Am 23. Dezember machten wir uns am Abend auf den Weg. Franziska war sehr aufgeregt und freute sich auf ein Abenteuer. In ihrer kindlichen Fantasie konnten es nur moppelige Engelchen auf bauschigen Wölkchen gewesen sein, die nachts beim Spielen ihre Kugel vergessen hatten.

Es war schon stockfinster als wir das Waldstück erreichten, und ich drosselte die Geschwindigkeit. Die Scheinwerfer meines Autos strahlten die Bäume an. „Schau jetzt nach vorne, ganz oben in diesen Zweigen wirst du sie gleich sehen“,  sagte ich zu Franziska. Wir reckten beide unsere Köpfe und stierten auf die Tanne. Da geschah etwas, was ich mir bis heute, nach so vielen Jahren, immer nicht erklären kann.

Die Kugel flammte plötzlich lichterloh auf, heller, als jeder Rückstrahl meiner Scheinwerfer je sein konnte. Ich meine sogar, es sprühten Funken, wie bei einer Wunderkerze und seltsamerweise vernahmen wir einen leisen zischenden Ton. Dann zersprang die Kugel in tausend Stücke. Franziska schrie vor Schreck auf. Instinktiv drückte ich auf die Bremse und brachte mein Auto zum Stehen. Im selben Moment torkelte eine Gestalt aus dem Gebüsch und sank kraftlos auf meine Motorhaube. Mein Herz klopfte bis zum Hals und meine Kleine fing an zu weinen. Zitternd öffnete ich die Autotür und näherte mich der Gestalt, die da auf meinem Auto lag. Sofort stieg mir ein intensiver Alkoholgeruch in die Nase und ich erkannte an den Haaren und der Statur, dass dies ein alter Mann war. Mutig berührte ich ihn mit meinen zitternden Händen und er hob den Kopf. „Herr Moroni“, rief ich erstaunt aus. Es war verwirrend. Auf meinem Auto lag mein Nachbar. 10 km von Zuhause entfernt! In einem erbärmlichen Zustand. Er war sturzbetrunken.

Ich kannte Herr Moroni vom Treppenhaus. Ein sehr lieber Mensch, der für jeden ein freundliches Wort übrig hatte. Seit dem Tod seiner Frau vor wenigen Monaten lebte er allein und war sicher oft einsam.

Franziska hatte sich schon wieder etwas beruhigt und zeigte auf die Tanne: „Schauen Sie mal da hoch Herr Moroni, ganz da oben hing eine goldene Christbaumkugel, wegen ihr sind wir hierher gefahren. Und jetzt ist sie... explodiert! “ Er schüttelte verwirrt den Kopf. „Hier bin ich vor vor vielen Jahren mit meiner Frau oft spazieren gegangen“, flüsterte er. „Hier hab ich ihr einen... einen Heiratsantrag gemacht“. Er weinte bitterlich und strich sich wirr durch sein graues Haar. Franziska schaute ihn mit großen Augen aufmerksam an. „Ich hatte ihr einen Ring geschenkt, der in Weihnachtspapier eingepackt war. Am Geschenkband hing eine goldene Kugel.“ Er atmete schwer, Tränen flossen über seine Wangen und er hatte Mühe deutlich zu sprechen. „Diese Kugel hängte meine Angebetete an einen Tannenbaum und meinte damals: „ Die goldene Kugel für den Baum, den goldenen Ring für mich.“ Dann gab sie mir einen Kuss und hauchte mir ihr „Ja“ ins Ohr.“ 

Ein Weinkrampf schüttelte ihn und er tat mir unendlich leid. Es rührte mich, seine tiefe Liebe zu ihr so zu spüren. Ich nahm ihn in den Arm und strich ihm beruhigend über seinen Rücken. „Damals waren die Bäume noch klein. Aber sie sind noch da. Meine Grete aber ist nicht mehr da“, schluchzte er. Auch meine Augen wurden ganz feucht.

„Wir nehmen Sie jetzt erstmal mit zu uns“, sagte ich mit einem Kloß im Hals und bugsierte ihn vorsichtig in meinen Wagen. Wir fuhren innerlich bewegt nach Hause, ließen ihn ein warmes Bad nehmen und legten ihn in unser Gästebett. Im Nu fiel er in einen tiefen Schlaf. Was er damals im Wald wollte, hat er mir nie erzählt und ich habe ihn auch nie danach gefragt. Aber wenn ich daran denke, wie einsam er war, wie sehr er seine Frau vermisste und Heilig Abend vor der Tür stand…..ich möchte gar nicht mehr weiterdenken…..

Den 24. Dezember verbrachten wir Drei zusammen und das war der Beginn einer wunderschönen Freundschaft. Für Franzi ist er zu dem „Opa“ geworden, den sie nie hatte. Er freut sich, dass wieder Abwechslung in sein Leben gekommen ist. Franziska ist sehr oft bei ihm, wenn ich mal wieder länger arbeiten muss. Auch mir tut es gut, jemand zu haben, der so ein  verständnisvoller Zuhörer ist, wie er. Bis heute ist es für mich wie ein Wunder, was alles an diesem Abend geschah. Wäre die Kugel nicht explodiert……….ich hätte ihn vielleicht sogar überfahren! Wir sind alle Drei so froh uns zu haben und selbstverständlich feiern wir auch dieses Jahr wieder Weihnachten mit „unserem“ Opa.

 

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© Beate Treutner