Ich glaube, ich bin schwanger. Dabei bin ich erst drei Monate hier in Afrika. Nach Meinung der Ärzte muss man aber mindestens 6 Monate hier leben um überhaupt fruchtbar zu sein. Eine kürzere Anpassungszeit gab es noch bei keiner Frau. Meine Regel ist schon seit einer Woche über Zeit. Heute morgen musste ich mich sofort nach dem Aufwachen übergeben und meine Brust spannt. Alles typische Anzeichen einer Schwangerschaft.
Ich werde jetzt zur Apotheke gehen und mir einen Test holen. Die Sonnenbrille und ein Tuch um den Hals, um die Atmung vor dem sandigem Wind zu schützen, sind unerlässlich. Meine Knie sind butterweich und innerlich bin ich sehr aufgeregt. Sollte ich, nach so kurzer Zeit schon, zur höheren Schicht der werdenden Mütter gehören?
Ich öffne die Tür und trockene heiße Luft strömt mir entgegen. Es ist herrlich, nach so vielen Jahren endlich wieder die Sonne zu sehen und zu spüren. Zur Apotheke sind es nur wenige Straßen weiter und heute habe ich Zeit, den Weg einmal genauer zu betrachten. Es ist unglaublich! Noch vor 10 Jahren war hier nichts als Wüste und nun steht da eine mittelgroße Stadt mit Schulen, Kindergärten, Spielplätzen, schönen Häusern, schattigen Parks und vielen Geschäften und Läden. Überall sehe ich fröhliche Leute, vor allem Mütter mit kleinen Kindern. Auch Nomaden kommen manchmal mit ihren Kamelen hier durch. Entweder um etwas zu besorgen, oder einfach neugierig zu staunen. Außerhalb der Stadt liegen kilometerweit die Weizen- und Maisfelder sowie die Erdnussplantagen, dazwischen bunte Obstplantagen. Die gesamte nördliche Halbkugel würde ohne diese gentechnischen Sensationspflanzen glatt verhungern. Weiter südlich gibt es die Industriestadt, die bewusst weit entfernt von den bewohnten Orten gelegt wurde. Jeden Tag sprießen neue Firmen aus dem Boden. Die Stadt wächst ständig, so wie alle Städte hier im Umkreis. Seit vor 12 Jahren diese furchtbare Katastrophe geschah, sind allein aus Deutschland über eine halbe Millionen Menschen hier eingewandert. Es gibt nur noch wenige Menschen die im Norden leben, und die kämpfen dort ums Überleben. Angefangen hat alles am Morgen des 25.7.2020 mit einem unerträglichen Pfeifton. Jeder Mensch auf der gesamten nördlichen Halbkugel der Erde hörte und fühlte ihn.
Getrieben von bohrenden Schmerzen in den Ohren rannten die Menschen in Baumärkte und Apotheken um Ohrenschützer, Stöpsel oder irgend etwas, was ihnen zur Linderung des Ohrenschmerzes dienen könnte, zu verschaffen. Diejenigen, die nichts hatten, steckten sich Watte in die Ohren, umwickelten sie mit Tüchern und vergruben sich unter ihren Bettdecken. Dieser Ton war so schmerzhaft, dass manche sogar in eine erlösende Ohnmacht fielen. Die Wissenschaftler auf der ganzen Welt arbeiteten auf Hochtouren um das Phänomen zu ergründen. Ich war damals 10 Jahre alt und kann mich noch sehr gut daran erinnern. Auch wir hatten nur Watte und Tücher um den Ton wenigstens ein bisschen zu dämpfen. Schlagartig, nach genau 14 Stunden, hörte der Ton auf. Im ersten Moment fragten wir uns, ob sich vielleicht nur die Frequenz verändert hatte oder ob wir etwa schon taub waren.
Mutter stellte den Fernseher an und wir erfuhren die nächste Hiobsbotschaft. Auf der nördlichen Halbkugel bebte die Erde an unzähligen Stellen. Vulkane brachen aus, auch die, die schon seit Ewigkeiten still waren. An vielen Stellen brach einfach die Erde auseinander, und flüssige Lava quoll hervor. Viele Städte wurden völlig zerstört. Milliarden von Menschen starben und diejenigen, die (so wie meine Familie und ich) überlebten, mussten nun das ganze Ausmaß ertragen. Die Luft war stinkend und staubig. Der Himmel verdunkelte sich. Überall lagen Tote, Verletzte, Trauernde, hilflose Menschen.
Zuerst durften verheiratete Paare im gebärfähigen Alter hierher, nach Afrika ziehen, die zusätzlich in irgendeiner Weise Spezialisten waren z.B. im Straßenbau, Hausbau oder, so wie Peter und ich, in der Landwirtschaft. Für unsere Regierung ist es das Wichtigste, für Nachkommen ihres Landes zu sorgen und sie gut großzuziehen. Inzwischen können alle Paare, die einen Wohnraum bekommen, einreisen. Deshalb wird hier (noch immer auf Staatskosten) gebaut, so schnell es geht. In Deutschland ist es sehr gesundheitsgefährdend, dort noch lange zu wohnen. Viele haben Atmungserkrankungen und es gibt kaum Ärzte oder Medikamente. Die Menschen dort leben hauptsächlich von der Metallbranche, dort, geballt, wo noch Fabriken und Straßen übriggeblieben sind, Wie gesagt, das meiste Geld fließt nach Afrika.
Peter und ich haben uns vor acht Monaten kennen gelernt. Um möglichst schnell in dieses schöne Land kommen zu dürfen, haben wir schon nach drei Monaten geheiratet. Es gibt lange Wartelisten in Deutschland und wir hatten Glück, dass wir so schnell hier her kommen durften. Oft hatten wir dort schrecklichen Hunger, denn im ganzen Land läuft nichts mehr, wie es soll. Es gibt immer wieder große Versorgungslücken. Die meisten Menschen sind 45 und älter. Kinder, die jünger als 13 sind, gibt es in Deutschland nicht mehr. Die Familien sind alle hier. und die jungen Erwachsenen heiraten schnell um hierher kommen zu können oder stehen alle auf der Warteliste.
Vorne sehe ich schon die Apotheke und betrete sie. Ein schwarzhäutiger Apotheker empfängt mich lächelnd und sagt: „Lassen sie mich raten! Ein Schwangerschaftstest?“, und sieht mich erwartungsvoll an. „Ja“, lächle ich zurück. „Sieht man mir das etwa an?“ „Nein, aber sie sind heute schon die zwölfte Frau. Und alle sind erst vor kurzem hierher eingewandert. Ob es wohl damit zu tun hat, dass man vorgestern wieder 14 Stunden lang diesen grässlichen Pfeifton in den ganzen nördlichen Ländern erdulden musste? Für mich ist das sehr eigenartig!“ Mir bleibt vor Erstaunen der Mund offen stehen. Vor 2 Tagen? Ich war in den letzten Tagen so mit mir beschäftigt, dass ich die Nachrichten nicht mitbekommen habe. Was hat das zu bedeuten? So viele Jahre habe ich mich nach Afrika gesehnt. DIE Hoffnung für alle von uns. Dabei habe ich fast vergessen, warum wir so leben und dass wir immer noch nicht die Antwort auf diese damaligen Phänomene kennen. Sollte es nun wieder bessere Zeiten für Deutschland und ganz Europa geben?
Ich nehme meinen Schwangerschaftstest und verlasse schnell die Apotheke. Durch die Scheiben des Schaufensters sehe ich, wie der Apotheker ungläubig den Kopf schüttelt.
Zuhause lasse ich meinen warmen Urinstrahl über das Stäbchen plätschern und warte. In dem Moment kommt Peter nach Hause, in unser kleines hübsches Steinhäuschen. Gemeinsam schauen wir, ob sich da ein blauer Streifen bildet........ „Ja!“, jubelt er und wirbelt mich hoch in die Luft. Auch ich strahle: „Vielleicht können wir sogar wieder zurück und unser Kind kann zuhause, in Deutschland aufwachsen. Sogar mit Opa und Oma,“ sage ich. „Hast du die Nachrichten schon gehört?“ „Hab ich“, antwortet er. „Aber was willst du denn dort? Ganz Europa ist arm. Wer sollte das alles wieder aufbauen? Und wer finanziert das Ganze? Niemand wird sein Geld in so ein armes Land wie Deutschland stecken. Wir leben hier doch wie im Paradies!“
Ich habe ein seltsam komisches Gefühl. Sollen wir wirklich so tun, als ob uns die da oben nichts angehen?
Aber er hat Recht! So viel Aufwand! Dort ist eh alles kaputt. Kümmern wir uns um unseren eigenen Sorgen....
Eine Homepage ist nie "fertig".
Sie ist in ständigem Wandel. So gibt es bei jedem Besuch immer wieder was Neues zu entdecken.
Die Gedichte, Geschichten und Bilder sind mein Eigentum und dürfen nur mit meiner ausdrücklichen Genehmigung kopiert werden.